„Prefab“ ist in aller Munde: „Vorfertigung“ ist das neue Zauberwort in der Baubranche. In Zeiten des Fachkräftemangels verheißt die Methode neue Perspektiven für Qualitätssicherung, Verkürzung der Bauzeiten und Digitalisierung. Zahlreiche Hoffnungen und Versprechungen verbinden sich mit diesem Begriff. Der Ansatz scheint zeitgemäß. Dabei ist er schon jahrtausendealt. Schon vor 10.000 Jahren gab es die Idee, Bauelemente vorzufertigen, Form und Größe zu standardisieren, vorgefertigt an die Baustelle zu liefern, um dort präzise verarbeitet zu werden: Die Ziegelbranche gilt als die Mutter der Prefab-Bewegung. Schon lange vor der Digitalisierung galt hier die Formel „design to production“. Verschiedene Tone, Zuschlagstoffe, Brennverfahren und Oberflächenbehandlungen führten zu einer Vielzahl von Designs. Alle in definierter, einheitlicher Qualität.
Jahrhundertealte Formate wie das Römerformat oder das Klosterformat gelten heute als Klassiker. Mit der Moderne kam Ernst Neufert, Architekt und Autor der legendären „Bauentwurfslehre“, und führte das oktametrische System in die Ziegelwelt ein: Ein Meter sollte acht Ziegel enthalten. Neuferts Ziegelgrößen basierten auf einem Modulmaß von 12,5 Zentimetern für Stein und Mörtelfuge, ausgehend von 1 cm Fuge. Dieser Standard setzte sich durch und wurde 1950 zur Basis für die Einführung der DIN 4172 „Maße im Hochbau“.
Die Idee, vorgefertigte Bauteile zu entwickeln und für eine neue Architektur zu verwenden, faszinierte viele Architekten der Moderne, allen voran Bauhaus-Gründer Walter Gropius. Das gemeinsam mit Konrad Wachsmann ab 1941 entwickelte „General Panel System“ war beispielgebend für Fragen der Vorfabrikation. „Wendepunkt im Bauen“ nannte Wachsmann 1959 sein bahnbrechendes Manifest für die Industrialisierung des Bauens. Architekten verwendeten und entwarfen Fertigteile aus den unterschiedlichsten Materialien. Neben so naheliegenden Werkstoffen wie Holz, Beton und Stahl sind von Le Corbusier auch Bausätze ganzer Häuser aus Faserzement überliefert.
Was aber bedeutet diese Entwicklung für die Erfinder der Vorfertigung, die Ziegelbranche und die Ziegelarchitektur? Die handwerkliche Qualität der gemauerten Wand aus vorgefertigten Ziegeln wird ergänzt um vorgefertigte Elemente wie Segmentbögen, Verblendstürze und Fensterbänke. Aber auch raumbildende Elemente aus Ziegeln kommen zum Einsatz. Der Ziegelmontagebau ist eine seit Jahrzehnten erprobte Bauart, bei der ganze Wand- und Deckenelemente werkseitig mit Hilfe automatisierter Fertigungsanlagen hergestellt werden. Und wie im Holzbau gibt es auch hier komplette Ziegel-Element-Häuser als Fertighäuser oder zur individuellen architektonischen Gestaltung.
Aber das ist noch nicht das Ende der Entwicklung. Wieder steht die Branche vor einem Wendepunkt im Bauen. Angesichts der Tatsache, dass über den Mörtel in den Fugen der Ziegelwand eine hohe Haftscherfestigkeit erzielt wird, eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten für das Recycling und Upcycling von gemauerten Bauteilen. Nicht nur einzelne Steine lassen sich wiederverwenden, sondern ganze Wandelemente. Ein bemerkenswertes Pilotprojekt wurde gerade vom dänischen Architekten Anders Lendager realisiert und für den Mies van der Rohe Preis nominiert: Für das Wohnquartier „The Resource Rows“ in Kopenhagen werden die gemauerten Wände der historischen Carlsberg Brauerei in Segmente zerlegt und zu einem neuen Fassadenbild komponiert. Hier verbinden die Architekten mit einer neuen Technologie zugleich eine neue Ästhetik der Ziegelarchitektur.
So schließt sich der Kreis von Prefab zu Refab – und wieder steht der Ziegel am Anfang einer verheißungsvollen Bewegung.
Autor
Jan R. Krause, gebürtiger Hamburger, geprägt von der Klinkerarchitektur der Speicherstadt, aufgewachsen in einem gelben Klinkergebäude (war in der 1960ern sehr modern, vgl. Grindelhochhäuser von Bernhard Hermkes), fasziniert von der Klinkervielfalt internationaler Architekturerkundungen in Venedig, Mexiko, Kuala Lumpur, New York und Shanghai, leitet den Masterstudiengang Architektur Media Management AMM an der Hochschule Bochum und betreibt Architekturvermittlung mit seinem office for architectural thinking in Berlin.
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