„Klinker ist Maß und gibt Maß“

im Gespräch mit Dipl.-Ing. Joachim Hein – Partner bei RKW Architektur+

Für Dipl.-Ing. Joachim Hein, geschäftsführender Gesellschafter der RKW Architektur + mit Sitz in Düsseldorf, gilt das Motto des amerikanischen Malers Barnett Newman „Human scale for human being“ auch für seine Architektur. Im Interview greift Hein den aktuellen Diskurs um das urbane, dichte Leben in der Stadt auf. Er nimmt Stellung zu den Wohnwelten der Zukunft und zeigt auf, wie Architektur heute den gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit begegnen kann.

Wie würden Sie Ihre Architektur beschreiben?

Ich bin auch der Suche nach Wohnwelten der Zukunft. Und das bedeutet immer, auch Formen für home office, generationenübergreifendes Gemeinschaftsleben, Kinderbetreuung – und natürlich auch spontan für Notwendiges – wie Freizeit mitzudenken.

Meine Überlegungen zielen darauf hin, Wohnungen und ihre Umgebungen von innen nach außen, vom Bedürfnis hin zur Form zu denken.

Vielleicht sind ja unsere jetzigen Wohnungsansprüche zukünftig zu groß, weil der Stadtraum immer teurer wird? Vielleicht müssen wir freie, von Fall zu Fall hinzuzumietende Arbeitsräume in Wohngebieten mitplanen? Vielleicht brauchen wir mehr halbprivat-halböffentlichen Raum? Sicherlich müssen wir organisches Leben und Arbeiten stadträumlich und wohnungstechnisch zusammen denken.

Und diesen zukünftigen Wohnformen muss städtebaulich ein Gesicht gegeben werden, für diese Denkungsart gilt es also Fassaden zu entwerfen. Und: Selbstverständlich muss Vorhandenes aufgenommen, müssen neue – menschliche! – Maßstäbe integriert werden.

Unter diesem Horizont verstehe ich mein architektonisches Denken. Sinnlichkeit muss in unseren Wohnalltag – Freude, Begeisterung, Vielfalt, gemischte Nutzungen und natürlich auch Freiräume. Kurzum: Identifikation mit dem Ort muss in die Umgebung, in der ich viel Zeit verbringe, in der ich „lebe“! „Human scale for human being“ war das Motto des amerikanischen Malers Barnett Newman für seine Bilder – „Human scale for human being“ ist mein Motto für Architektur und urbanes Leben!

An welchen Leitbildern orientieren sich Ihre Entwürfe?

Joachim Hein: Sicherlich ist ein Blick zurück in die Geschichte der Wohnungsbauüberlegungen der Historischen Avantgarde bisweilen hilfreich. Die Grundideen des Wiener und Frankfurter „Sozialen Wohnungsbaus“ sind nicht obsolet, nur weil sie 100 Jahre alt sind.

Es macht also für mich Sinn, diese Strukturen immer wieder zu diskutieren und sie den heutigen Bedingungen anzupassen.
Und, es macht auch Sinn, die Idee des „Wohnfonds“ neu zu denken, wollen wir nicht nur wider besseren Wissens passiv dabei zusehen, wie attraktive Städte zu Luxusarealen werden. Historisch Bewährtes gilt es ausdrücklich zu reaktivieren. Denn der Mensch wird nun einmal geboren und stirbt – und in der Zwischenzeit will er wohnen, leben, arbeiten, spielen, sich wohlfühlen, eben: sein! Daran ändert sich nichts, das ist das Quantum Kontinuum unserer Existenz!

Sie haben an drei unterschiedlichen Fachhochschulen studiert. Welche hat sie am meisten geprägt?

Joachim Hein: Ich sagte oben, ich „suche“ nach zukünftigen Wohnformen. Das Suchen war offenbar schon immer eine mir zutiefst eigene Orientierungsform. So habe ich offensichtlich auch schon im Studium gesucht, vielfältige Antworten zu finden oder immer wieder andere Fragestellungen zu suchen. Also gibt es nicht die eine von dreien, die mich am meisten geprägt hat, sondern alle drei im Verhältnis zu allen. Das permanente Hinterfragen von Bewährten, das Suchen nach Neuem, das Aufbrechen in unbekannte Regionen, das Sich-Vergewissern im Ungewissen…ich glaube, nur diese stets in uns provozierte Neugierde sagt uns: Du lebst!

Warum haben Sie sich zusätzlich zur Architektur für die Fachrichtung Innenarchitektur entschieden?

Joachim Hein: Wer sich dem Wohnungsbau verschreiben möchte, wer die große zukünftige gesellschaftliche Architekturherausforderung darin sieht, wie das Individuum lebt und arbeitet, der kann doch die äußere Hülle – die Architektur – nur von innen heraus begreifen. Denn die inneren Bedürfnisse bestimmen die äußere Form – und beides zusammen im Dialog bestimmt unseren urbanen Raum. Also – und das ist meine feste Überzeugung – wer nicht Stadtplanung, Innenarchitektur und Architektur als Einheit begreift, kann nicht Bauen für die Zukunft denken. Sein, bauen und arbeiten sind, da hat Heidegger einfach recht, eine Einheit, diese drei großen Themen unserer Existenz bestimmen unser Leben!

Welche Rolle spielt Klinker für Sie in der Architektur?

Joachim Hein: Klinker ist Maß. Klinker ist menschlich orientierungsstark, da er mit den Händen in Dimension und Materialität zu „begreifen“ ist. Klinker ist Tradition und Region.

Zur WerkBundStadt Berlin

Was war der Auslöser für Ihr Engagement in der WerkBundStadt?

Joachim Hein: Nun, recht einfach: Die Möglichkeit, die von mir oben vorgestellten Themen für Wohnungsbau unter Kollegen und Mitbewerbern zu diskutieren und durch Mitbauen auch über diesen Kreis hinaus zur Diskussion zu stellen.

Es ist doch etwas fundamental Anderes, ob man in einer Jury über ein Ja-oder-Nein diskutiert und so schlussendlich auch über existentielle Bedingungen für Kollegen entscheidet, oder ob man diskutiert, um zu gemeinsam zu tragenden Lösungen zu gelangen. Noch nie habe ich zuvor so profund inhaltliche Diskussionen anhand einer Bauaufgabe erlebt wie hier bei unserer WerkBundStadt. Weg vom individualismussüchtigen Möchtegerngenie mit Starallüren, hin zum kooperativen Städtebau! Wo viele Menschen leben sollen, macht es Sinn, dass darüber zuvor viele befinden, diskutieren, sich streiten… dass Argumente ausgetauscht und für Ideen gestritten wird!

Was macht für Sie den Reiz der WerkBundStadt aus?

Wie schon gesagt, ob es nun eine neue Weißenhofsiedlung – mit ihr wird unser Projekt ja häufig schon in einem Atemzug genannt – wird oder nicht, bleibt abzuwarten. Entscheidend ist, dass wenn über 30 Kollegen an einem gemeinsamen Projekt arbeiten, dass für jeden Einzelnen viel mehr Erkenntnisse zum Aufscheinen kommen, als wenn 30 Architekten jeweilig ihr Ding bauen.

Das abzusehende Ergebnis scheint mir sehr „Human scale“: So, wie der Mensch zugleich Individuum und Teil einer Gesellschaft ist, sind unsere Entwürfe individuell und zugleich Teil der WerkBundStadt!

Wie charakterisieren Sie den Entwicklungsprozess im Hinblick auf das Ergebnis, so wie es sich heute darstellt?

Joachim Hein: Nun, ich habe viel gelernt – und vielleicht habe ich auch den einen oder anderen Kollegen meinerseits etwas zu denken oder zu überdenken gegeben. Schauen sie, es gibt keinen verbindlichen Kanon mehr, der beispielsweise hierarchisch von Klenze oder Schinkel oder Hausmann vorgegeben wurde.

Wir alle verstehen uns als individuelle Größen, sollen aber bauen für wiederum individuelle, uns aber fremde Bewohner. Und die Bereitschaft der Bewohner, sich Baudiktaten zu unterwerfen ist signifikant gesunken. Ich glaube also, dass diese Bedingungen eine Diskussion untereinander erfordert, will man nicht von Beginn am Bürger vorbeibauen.

Was ist der Hintergrund für das Regularium, dass 60% der Fassaden mit Backstein gestaltet werden sollen?

Joachim Hein: Einheit in der Vielfalt, oder besser: Einheit trotz Vielfalt! Ich komme immer wieder auf meine obigen Antworten zurück, darauf, dass für mich die soziale und ästhetische, die urbane und architektonische Herausforderung unseres Projektes darin besteht, architekturikonologisch ein Exempel dafür statuieren zu wollen, wie sich Mensch und Gesellschaft in einem unauflösbaren Ineins befinden: Eine Siedlung, mehrere Häuser, viele Wohnungen, noch mehr Menschen. Und diese Metapher für einen angestrebten sozialen Organismus verkörpert als Baustoff der Ziegel: Alleine ist er Teil, in der Menge Summe!

In den Veröffentlichungen wird die WerkBundStadt Berlin oft mit der Weißenhofsiedlung in Stuttgart in Verbindung gebracht. Warum?

Joachim Hein: Nun, weil sie aufgrund ihrer neuen und revolutionären Formen berühmt geworden ist – ja, sogar weltberühmt. Ich könnte mir vorstellen, dass unsere WerkBundStadt vielleicht formal weniger berühmt wird, dafür aber soziologisch für die existentiellen Bereiche von Wohnen, Sein und Arbeiten, also Leben, viel bedeutender. Denn Leben ist eine regionale Kategorie!

Wir müssen also – um an Renzo Pianos Diktum nach der Fertigstellung des neuen Potsdamer Platzes zu erinnern – vielleicht 100 Jahre warten, um beurteilen zu können, ob das, was wir hier entworfen haben, wirklich so in die Zukunft gedacht war, wie wir es heute glauben. Doch der Vergleich mit der Stuttgarter Weißen Siedlung über der Stadt und gleichsam im Grünen drängt sich auf – und ist natürlich auch nicht rein zufällig: die Areale sind vergleichbar groß. Nur, unsere Stadt wird konzentrierter, ist innerhalb des S-Bahnrings, am Rande Moabits überhaupt nicht abgehoben, sondern integraler Bestandteil einer innerstädtischen Verdichtung. Anstatt 60 Wohnungen in Stuttgart werden hier in Berlin 1500 entstehen.

Zum Baustoff Klinker

Welche Eigenschaften des Klinkers sind es, die Sie überzeugen?

Joachim Hein: Nun, für eine Philosophie des Klinkers reicht hier der Platz nicht – und einiges habe ich ja auch schon gesagt. Aber lassen Sie mich noch einmal kurz schwärmen: Jeder Klinker ist ein Individuum. Keiner ist gleich einem anderen. Jeder ist wie ein Fingerabdruck. Eine Wand wirkt wie die Summe von Individuen.

Klinker ist für mich Zeitlosigkeit durch Tradition, Beiläufigkeit durch Vertrautheit. Klinker IST! Er wird kaum mehr hinterfragt, weil er Maß ist und Maß vorgibt. Jeder kultivierte Mensch hat eine Vorstellung von Klinker, hat „seine“ Erfahrung mit Klinkern. Von den noch lebenden Trümmerfrauen bis zu Álvaro Siza Vieira. Die Atmosphäre, das Taktile, das Unebene, die Verschiedenheiten der trennend-verbindenden Fugen… Ich selbst wohne in einem Klinkerhaus.

Für welche Bauwerke eignet sich Klinker besonders?

Joachim Hein: Zum Geheimnis architektonischer Schönheit, die unser urbanes Wohlbefinden bestimmt, gehört es, auf der Fassadenoberfläche durch Struktur und Ornament für unser Auge eine Vorstellung von Körperlichkeit zu erzeugen. Licht und Schatten bringen eine Klinkerfassade zum Atmen. Klinker „deckt“, um Aldo Rossi zu paraphrasieren, unseren städtischen Tisch auf menschliches Maß.

Welche architektonischen Grenzen hat der Klinker? Für welche Bauwerke eignet er sich nicht?

Joachim Hein: Schauen Sie, die Herausforderung des 3-D-Druckers in der Architektur steht vor dem Baustellentor. Doch so, wie Sie zwar mit dem Auto schneller von A nach B gelangen können als wenn Sie laufen würden, so sehen Sie auch weniger intensiv die Attraktionen entlang der Wegstrecke. Das Plus an Geschwindigkeit ist folglich ein Minus an Intensität. Die 3-D-Drucker werden schneller sein, kostensparender, genauer…nicht aber humaner!

Die Grenzen und Chancen des Klinkers liegen folglich nebeneinander – Klinker ist chancenlos, will man schnelles, kostenminimiertes Bauen, aber unschlagbar, möchte man zeitlose, erlebnisreiche Fassaden. Letztlich bleibt es aber eine architekturphilosophische Frage: humane Architektur findet in Klinker oft ihr menschliches Maß im „De-Teil“.

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