Arno Lederer ist Architekt, Büropartner bei lederer+ragnarsdóttir+oei in Stuttgart und Professor für Architektur an der Universität Stuttgart. Als streitbarer Verfechter des massiven Ziegelmauerwerks tritt er für eine formenreiche Baukunst mit dem traditionellen Baustoff ein und fordert zu ganzheitlicher Betrachtungsweise in der Energiedebatte auf.
Welche Bedeutung hat der Ziegel für den architektonischen Entwurf?
Arno Lederer: Ich baue gern mit Materialien, die man durch die Jahrhunderte kennt und die dadurch eine gewisse Akzeptenz und Vertrautheit haben. Wie der Ziegel eben. Durch diesen Baustoff und die Art seiner Schichtung ist einem in einer ersten Annäherung an ein Gebäude bereits alles vertraut. Neu sind allein die modernen und zeitgemäßen Formen.
Was macht den Unterschied zwischen Ziegelmauerwerk und Bauwerken aus Beton und Stahl aus?
Arno Lederer: Jedes Material für sich genommen hat seine spezifischen Eigenschaften und Qualitäten. Für welches Material man sich entscheidet, hängt immer von der Bauaufgabe ab. So würde ich für weit gespannte Bauwerke eine Konstruktion aus Beton und Stahl errichten, für mehrgeschossige eignet sich Beton aufgrund des erforderlichen Brandschutzes. Bei Gebäuden mit kurzen Spannweiten ist es der Ziegel wegen der Vertrautheit des Materials im Kontext zu Landschaft und Umgebung. Denn wir müssen ja keinen Kontrast bauen. In unserem Architekturbüro beschäftigen wir uns mit dem Thema des Weiterbauens und der Kontinuität.
Über diese konstruktive Dimension der Materialwahl hinaus eignet sich der Klinker auch für zahlreiche Bauwerke als Vormauerziegel. Seine Haptik, dass man den Ziegel anfassen kann, macht einen wesentlichen Teil der Faszination für das Material aus.
Teilen Ihre Architekturkollegen diese Haltung?
Arno Lederer: Viele Architekten finden uns steinern, nicht modern genug. Aber das ist uns egal. Viel wichtiger ist uns das Bewusstsein, dass wir immer an vorgegebenen Orten bauen, die wir möglichst so weiterbauen, dass man erst auf den zweiten Blick die Ergänzung erkennt.
Welche Rolle spielt dabei der Ziegel, der die Grundlage vieler Ihrer Bauwerke darstellt? Was macht ihn für Sie so besonders?
Arno Lederer: Seine Akzeptanz, Vertrautheit, Dauerhaftigkeit und Robustheit. Durch den Ziegel sind Verletzungen eines Gebäudes von außen oder innen viel geringer als bei verputzten Bauten. Während diese ständiger Pflege bedürfen, sind Ziegelmauern auch nach 10, 20 und selbst 50 bis 100 Jahren noch intakt. Durch bewussten Einsatz des Materials lässt sich mithilfe des Ziegels eine Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit von Gebäuden erreichen.
Gibt es für jedes Bauwerk in jeder Umgebung einen passenden Ziegel?
Arno Lederer: Mit dem jeweiligen Ziegel und der abgestimmten Verfugung kann man ein Gebäude an seine Umgebung anpassen. So ist in einer ländlichen Gegend mitunter mehr Grobheit gewünscht, damit das Gebäude sich in seinen Kontext und die Landschaft einfügt. In feiner städtischer Umgebung sind eher elegantere Bauten prägend. In historischer Umgebung schlagen wir dagegen immer wieder Altziegel vor, deren Oberflächen schon einen Alterungsprozess durchlaufen haben.
Außerdem hat die Verfugung maßgeblichen Einfluss auf das Erscheinungsbild: grob oder fein, wobei man Stoß- und Lagerfugen zusätzlich farblich unterscheiden kann. Umgesetzt haben wir das etwa bei der Erweiterung der EnBW Hauptverwaltung in Stuttgart.
Welche Rolle spielt dabei der Herstellungsprozess?
Arno Lederer: Je nach Herstellungsprozess gibt es eine Bandbreite an Oberflächen und Farben – regelmäßig oder unregelmäßig. Neue Steine ergänzen auch unseren Entwurfsprozess. Doch egal welcher Ziegel und welche Verfugung – die Schönheit kommt aus dem Material selbst. Das ist ähnlich wie bei Äpfeln: Jeder ist für sich schön.
Warum hat der Ziegel es dann so schwer, sich in der modernen Baukunst durchzusetzen?
Arno Lederer: Er erhält große Probleme durch die aktuellen Energievorschriften. Man kann heute nicht mehr monolithisch bauen, weil damit die Dämmwerte nicht eingehalten werden können. Und auch der zweischalige Ausbau wird immer schwieriger, weil die aufwändigen Konstruktionen höhere Kosten verursachen.
Bei dieser Betrachtungsweise ist die ganze Energieproblematik zu einseitig auf das Aufheizen gerichtet. Es wird nicht gefragt: Wie lange hält ein Haus? Wie robust ist es? Welche thermische Trägheit besitzt es? Und auch der sommerliche Kühlbedarf ist nicht eingerechnet. Aus dieser einseitigen Sicht ohne Blick auf die Nachhaltigkeit kehren sich die Vorteile des Ziegels in Nachteile um.
Wo liegen demnach die Grenzen des Ziegels?
Arno Lederer: Beim Geld. Dabei kommt es auf die Betrachtungsweise an. Kurzfristig sind die Kosten eines Ziegelmauerwerks höher. Langfristig rechnet sich aber die Robustheit des Materials, das 50 bis 100 Jahre hält, während Putzbauten alle 15 bis 20 Jahre repariert oder renoviert werden müssen.
Welche Anforderungen sollte ein zukunftsweisender Klinker- oder Pflasterstein erfüllen?
Arno Lederer: Haltbarkeit und Robustheit müssten dem Standard von Vormauerziegeln oder Klinkern entsprechen. Zusätzlich braucht der Stein Wärmedämmeigenschaften, damit man ihn monolithisch vermauern kann. Das wäre ideal. Ich glaube übrigens, dass das technisch möglich wäre. An dieses Thema müsste sich bloß mal jemand rantrauen.
Foto: Roland Halbe
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