11. Jul

Fließende Formen mit Klinker

Ziegelschale bietet Raum für neue Konstruktionsarten

veröffentlicht am 11.07.2019 um 10:21 Uhr / von Katharina Remke

Vor den Türen des Hagemeister Ziegelwerks zieht ein besonderes Bauwerk die Blicke der Besucher auf sich: ein Pavillon aus Klinker. Die in Zusammenarbeit mit Professor Peter Böhm, Studierenden der Hochschule Trier und Bildhauer Martin Kleppe entworfene und erbaute sogenannte „Ziegelschale“ bietet eine ganz neue Konstruktionsweise. Mit einer Verbindung aus Ziegel, Carbontextil sowie Betonmörtel konnte eine tragfähige, nur 7 cm dicke „Schale“ mit einer weiten Auskragung realisiert werden. Eine zukunftsweisende Bauart, die es ermöglicht, auch andere Baukörper und Formen zu kreieren, die es bisher in der Klinker-Architektur in dieser Art noch nicht gab.

Die Ziegelschale ist aus einer Kooperation zwischen Lehre und Industrie entstanden. Seit mehreren Jahren unterstützt das Nottulner Klinkerwerk eine Stiftungsprofessur von Professor Peter Böhm und seine Studierende an der Hochschule Trier. Neben gemeinsamen Workshops und Exkursionen im Klinkerwerk, bei denen der Werkstoff in der Praxis kennengelernt werden konnte, sind aus der Zusammenarbeit auch schon zahlreiche Ideen und Produkte entstanden – eine Idee war die des Klinkerpavillons.

Mut für Neues

Den Baustoff Klinker und seine Verwendung ganz neu erleben: Dieser spannenden Aufgabe haben sich Studierende des Fachbereichs Architektur an der Hochschule Trier über vier Semester gewidmet. Inspiriert von der Arbeit bedeutender Architekten wie Frei Otto und Eladio Dieste, war die Grundform des Pavillons schnell gefunden. Daraufhin wurde ein Modell entwickelt, dass die Leistungsfähigkeit des Ziegels in Kombination mit Textilbeton unterstreicht. „Wir haben uns für einen Entwurf entschieden, der die Stärke des Klinkers am meisten unterstützt und von uns Studierenden am besten umsetzbar ist“, sagt Christoph Heib, verantwortlicher Architekturstudent. Das Besondere an der Sache: Die Konstruktion misst insgesamt nur eine Materialstärke von etwa 7 cm Dicke.

Die tragfähige, dünne Schale wird rein äußerlich als reine Ziegelschale wahrgenommen. Das Carbontextil sowie der Betonmörtel bleiben im Inneren verdeckt. Der Vorteil der besonderen Kombination dieser Baustoffe liegt für Martin Kleppe, Bildhauer und Lehrbeauftragter, auf der Hand: „Das Carbontextil korrodiert nicht und man kann damit sehr schlanke Schalentragwerke bauen. Diesen Hochleistungsbeton haben wir mit dem hochfesten Baustoff Klinker kombiniert, der sehr große Drucklasten aufnehmen kann und witterungsbeständig ist. Auch in den nächsten Jahrzehnten wird die Klinkerschale an Schönheit und Qualität nichts einbüßen.“

Die Optik einer „einfachen“ Ziegelschicht wird durch die Verwendung eines Spaltklinkers mit rund 3 cm Materialstärke bewahrt. Seine Rippenstruktur im Inneren bietet sich als Oberflächenvergrößerung an, um die Ziegelschicht möglichst fest mit der Mörtelschicht der Konstruktion zu verbinden. Die Spaltklinker wurden nach statistischen Berechnungen mit einer Kreuzfuge sowie einem komplexen Fischgrätverband vermauert.

Mehrere Laborversuche mit Versuchsplatten veranschaulichten die Druck- bzw. die Zuglasten, die auf den Ziegel und das Textil treffen können. So kann diese Konstruktion bis zu 186 Tonnen zentriert auf den Punkt aushalten. „Der Pavillon ist so konstruiert, dass die statischen Kraftlinien der Form nachgeben. Die Auskragung lässt die Zugkräfte, die in dieser Konstruktion auch möglich sind, sichtbar werden“, weist Professor Peter Böhm auf die besondere Formgebung hin.

Skulptur für die Ewigkeit

Der auskragende Teil des neuen Wahrzeichens hin zur Bundesstraße ist besonders auffällig, zwei Öffnungen links und rechts in der Ziegelschale weiten den Raum an diesen Stellen auf und geben Ein- und Ausblick auf die gestaltete Freifläche sowie das Firmengelände. Im Gegensatz zu Beton hat der Klinker eine witterungsfeste Oberfläche, die auch noch in Jahrzehnten eine sehr hochwertige Qualität bietet. Die Konstruktion aus Ziegel und Textilbeton bietet ganz neue Möglichkeiten fließende, organische Formen in der Architektur von morgen auszugestalten. „Wir sind sehr dankbar, dass wir als Ziegelhersteller die Gelegenheit hatten, innerhalb dieses Projektes unseren Baustoff und seine Verwendung ganz neu zu erleben. Wir versprechen uns aus den Erkenntnissen, dass damit in Zukunft neue Formen und Bauwerke aus Klinker geschaffen werden können“, resümiert Frau Dr. Christina Hagemeister das Ergebnis und die Zusammenarbeit mit der Hochschule Trier. Auch für die Studierenden der Hochschule Trier war diese Arbeit etwas ganz Besonderes. „Für uns war dieses Projekt sehr interessant, da wir vom ersten Bleistiftstrich bis zum Aufbau und Einweihung der Ziegelschale auf alles aktiv Einfluss nehmen konnten. Das ist nicht üblich im Hochschulalltag und ein Alleinstellungsmerkmal für die Hochschule Trier“, sagt Christoph Heib.



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    Jan Krause
    Gebürtiger Hamburger, geprägt von der Klinkerarchitektur der Speicherstadt, aufgewachsen in einem gelben Klinkergebäude (war in der 1960ern sehr modern, vgl. Grindelhochhäuser von Bernhard Hermkes), fasziniert von der Klinkervielfalt internationaler Architekturerkundungen in Venedig, Mexiko, Kuala Lumpur, New York und Shanghai, leitet den Masterstudiengang Architektur Media Management AMM an der Hochschule Bochum und betreibt Architekturvermittlung mit seinem office for architectural thinking in Berlin.
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    David Jan Wilk
    ■ Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Promotionsstudent - Lehrstuhl Grundlagen und Theorie der Baukonstruktion - TU Dortmund ■ Fritz-Höger-Preis für Backsteinarchitektur 2020 ■ Ausbildereignungsprüfung der HWK Dortmund 2019 ■ Freiberufliche Tätigkeit als Architekt seit 2018 ■ Master-Abschluss Juni 2018 ■ Jahrgangsbester im Bachelorstudiengang 2015 ■ Stipendiat im Deutschlandstipendium 2014 - 2017
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