Expressionistische Ikone aus Backstein

Das Chilehaus in Hamburg

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von Lumu [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) oder CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]

Es ist ein Paradebeispiel für eindrucksvollen Backsteinexpressionismus – das im Jahr 1924 eröffnete Chilehaus. Das von der Backsteingotik der 1920er Jahre geprägte Gebäude ist eines der großen Aushängeschilder der Hansestadt. Architekt Fritz Höger hat den Bau im Auftrag des Hamburger Kaufmanns Henry Brarens Sloman entworfen. Mit 36.000 m2 Bruttogeschossfläche und bis zu zehn Stockwerken war das Chilehaus eines der ersten Hamburger Hochhäuser. Das Besondere an diesem eindrucksvollen Gebäude, das mit seiner charakteristischen Fassadenspitze an der Ostseite einem Schiffsbug ähnelt, ist der verwendete Klinker. Mit detailreichen Reliefs und in abwechslungsreichen Mustern verlegt, bringt das raue, deformierte Baumaterial Bewegung in die schwere Hülle des denkmalgeschützten Backsteinbaus.

Henry Brarens Sloman wanderte mittellos nach Chile aus. Im Alter von 60 Jahren kehrte der durch den Salpeterhandel reich gewordene Kaufmann nach Hamburg zurück. Als Geschenk an seine Heimatstadt ließ er dort im Jahr 1922 ein Haus in Form eines Schiffes errichten. Da die Reederei Rob. M. Sloman bereits ein Objekt mit dem Namen „Slomanhaus“ erbaut hatte, entschied sich Henry Brarens Sloman das neue Bauwerk, in Anlehnung an seine Reise, „Chilehaus“ zu nennen. Den Entwurf übernahm der angesehene Architekt Fritz Höger. 

Das Chilehaus verdankt seine Form dem rund 6.000 m² großen Grundstück. Die Fläche weist einen ungewöhnlichen, spitzen Zuschnitt auf, dem sich das Haus mit seiner „Bugspitze“ anpasst. Fritz Högers erste Entwürfe für das Gebäude stießen beim Bauherren und der Hamburger Fassadenkommission zunächst auf wenig Begeisterung. Zum einen sahen Högers Pläne vor, die Straße „Fischertwiete“ zu überbauen. Außerdem befürchteten die Verantwortlichen, das Chilehaus könne aufgrund der Vielzahl an Fensteröffnungen zu eintönig wirken. Deshalb entschied sich der Architekt der Dachkonstruktion durch außergewöhnliche Staffelgeschosse Dynamik zu verleihen. Das Grundgerüst des Chilehauses bildet eine Skelettkonstruktion aus Eisenbeton mit vorgemauertem Klinker. Der deutsche Schriftsteller Rudolf G. Binding beschrieb das Chilehaus mit den Worten:

„Gestreckt wie eine Forelle, schlank wie ein Schiff, hinauswehend wie ein Fittich, ununterbrochen und ungebrochen wie eine Sternenbahn, unheimlich leicht und unheimlich stark wie die Schwungfedern eines Adlers und sich entrollend wie eine Fahne im Wind.“

Charme durch knorrig deformierte Klinker

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by SKopp [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) oder CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)]
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Die eingesetzte Klinkersortierung erinnert an Ausschussklinker, der aufgrund seiner Unebenheiten und fleckigen Färbung oft aussortiert oder nur in nicht-sichtbaren Bereichen Verwendung fand. Dennoch wurden nach der Vorlage dieses Klinkers mehr als 4,8 Millionen Ziegel angefertigt, die in ihrer Optik und Beschaffenheit dem Klinker dritter Wahl sehr ähnlich sind. Architekt Fritz Höger sagte selbst:

„Mir aber waren diese deformierten Brocken für meinen Riesenbau gerade so gut, nur durch ihre natürliche Knupperigkeit, so wie sie durch höchste Feuersglut wurden, waren sie mir lieb, nur ihnen verdanke ich einen Großteil der Wirkung des Riesenbaus, durch sie erhielt der Bau seine Beschwingtheit und nahm dem Riesen seine Erdenschwere.“

 Je nach Sonneneinstrahlung verleihen die Steine dem Gebäude einen edlen Glanz. Das Farbspektrum erstreckt sich dabei von grün über blau bis tief violett. Auch nachts, wenn das Chilehaus kunstvoll beleuchtet wird, behält es seine Pracht und schimmert im Licht der Scheinwerfer.

Ober- und unterhalb der insgesamt 2.800 Sprossenfenster mauerte man die Wandflächen im märkischen Verband. Aufsteigende Lisenen zwischen den Fensteröffnungen geben der Fassade ihr charakteristisches Gesicht und unterstreichen ihre starke vertikale Ausrichtung. Hier sind die Ziegel im 45-Grad-Winkel gegeneinander vermauert. Die Außenwände sind zusätzlich mit keramischen Elementen verziert. Ebenso wie die Treppenhäuser, gestaltete auch diese der Bildhauer Richard Kuöhl.

Nicht nur von außen besticht das Denkmal und UNESCO-Weltkulturerbe, auch die Innenarchitektur bietet zahlreiche gestalterische Details: Böden aus Linoleum oder Mahagoni-Kassettentüren in den Treppenhäusern mit handgefertigten Messinggriffen. Rund 10 Millionen Reichsmark soll die Fertigstellung nach Schätzungen gekostet haben.

Belebtes Viertel mit Geschichte

Zunächst ließen sich im Chilehaus zahlreiche kleine Import- und Exportfirmen nieder. Diese benötigten für ihre Geschäfte meist nur wenige Büroräume. Heute beherbergt das Chilehaus neben Wohnungen, Restaurants und Cafés weiterhin zahlreiche Unternehmen und gilt als einer der modernsten Bürokomplexe Hamburgs. Für seine Architektur ist das Kontorhausviertel weltweit bekannt und ist Zeichen der traditionsreichen Geschichte der Hafenstadt. Im gesamten Viertel sind mehr als 700 Firmen ansässig sowie 35 Gastronomie-Betriebe. Die Vielfalt der Geschäfte ist weiterhin wachsend. Das Chilehaus verleiht diesem Stadtteil sein charakteristisches Gesicht und verkörpert noch heute die Hochzeit des Backsteinexpressionismus.

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