Backsteinrohbau

Materialgerechtigkeit im Diskurs

Tradition und falsche Rezeption: Das Dilemma des Backsteins

Bis heute gibt es innerhalb der Architektur zwei scheinbar unversöhnliche Lager. Die einen behaupten, der Backstein sollte in seiner „materialgerechten“ Art und Ausdrucksweise verwendet werden, während die anderen gemäß dem technischen Fortschritt der Produktions- und Konstruktionsweisen für einen optimierten und perfektionierten Einsatz plädieren. Beide Standpunkte beharren auf Ihrer geschichtlichen Legitimität zwischen teilweise romantisierten Vorstellungen der „ehrlichen“ Konstruktion und einer jahrhundertelangen Optimierungs- und Veredelungsentwicklung. Was ist die wahre Eigenart des Backsteins? Ein Blick auf die Baugeschichte verrät, dass keine der Parteien vollen Anspruch auf die Wahrheit hat.

Materialgerechtigkeit

Der Begriff der Materialgerechtigkeit wird schon früh in der Ausbildung diskutiert. Ein subjektiv gefärbter Blick auf das Material sagt: „Der Ziegel ist roh, individuell, einfach. Seiner Schönheit wird im Kontext des Verbands Ausdruck verliehen, doch wehe, der Verband wirkt zu perfekt und wehe, jeder Stein gleiche seinem Nachbarn.“ Die ideologisch aufgeladene Sichtweise verführt zu der Annahme, dass reine Konstruktionen, das heißt in diesem Falle monolithische Wände aus einer einzigen Steinsorte, die wahrhaftige Form des Materials verkörpern. Sie legt auch nahe, dass Ziegelsteine aus einer Manufaktur, dem eigentlichen Hand-Werk stammen müssen. Selbst die Berufung auf einflussreiche Architekten wie Karl Friedrich Schinkel oder Leo von Klenze unterstreicht den eigenen Standpunkt: „In der Architektur muss alles wahr sein, jedes Maskiren, Verstecken der Construction ist ein Fehler“. Ein genauer Blick auf die Bauten der genannten Protagonisten zeigt jedoch, dass solche Aussagen nicht ohne das entsprechende zeitgenössische Selbstverständnis gelesen werden dürfen.

Besondere Position – Besonderer Stein

Sowohl Schinkel, als auch seine Vorfahren seit der Römerzeit nutzten handwerkliche und technische Mittel, um besondere Ziegelsteine oder besondere Positionen innerhalb der Konstruktion zu veredeln. Zunächst mit Hilfe von Schleifvorgängen und steinmetzartiger Bearbeitung, später mit Glasuren, Formen oder Brennmethoden. Das Ziel war trotz unterschiedlichen architektonischen Zeitgeistes meist identisch: eine homogene und vor allem saubere Ausführung der Mauerwerksfläche sollte erreicht werden. Zur Zeit der Industrialisierung entstanden hohle Verblendziegel und Formsteine am laufenden Band, die auf Vorrat gefertigt wurden und über Klinker-Kataloge bestellbar waren. Schon zeitgemäße Diskussionen in der „Deutschen Bauzeitung“ belegen, dass solche Produkte stark kritisiert wurden, da sie nicht mehr der Eigenart des Ziegelsteins entsprächen. Doch bereits die Römer verwendeten für die äußerste Steinlage, den Verblender, einen anderen Stein. Dieser sollte den zusätzlichen Anforderungen aus der exponierten Lage und den Witterungseinflüssen gerecht werden. Auch im Mittelalter verwendete man an den Außenflächen des Mauerwerks, vor allem an der Außenseite der Konstruktion gemäß der Konstruktionsweise des Wandaufbaus optimierte, also in Format und Oberfläche höherwertige Klinkerziegel. Diese Selbstverständlichkeit hielt bis zu den Bauten Schinkels an. Auch er verwendete für die äußere Steinlage Verblendsteine, die entweder durch ihre Keilform eine dünnere und sauberere Fuge ermöglichten oder als ausgehöhlte Verblendsteine die Anforderungen an Steinqualität und bauphysikalischer Anforderungen entsprachen. Das unsichtbare, weil in der Mitte der Konstruktion verwendete Material war oftmals minderwertig und konnte auch aus Fehlbränden sowie Bruchstücken bestehen. Die Innenseite dagegen bildete wieder eine sichtbare Fläche und musste zumindest einen ebenen Untergrund für eine nachträgliche Bekleidung bilden.

Klinkerfassade eines Neubaus und aus dem 19. Jahrhundert – welche mag wohl neu sein?

Der Klinker als veredeltes Baumaterial

Für die Zeitgenossen Schinkels war die Verwendung von Verblendmauerwerk, das im Beispiel der Bauakademie noch nicht einmal dasselbe Format wie die restliche Wandkonstruktion hatte, kein Widerspruch zu seiner oben zitierten Aussage, sondern die logische Schlussfolgerung. Es entsprach den allgemein anerkannten Regeln der Baukunst, die Konstruktion gemäß ihren Anforderungen zu optimieren und das „Verstecken“ der Konstruktion nicht auf die bekleidende Schicht zu beziehen, sondern auf Überdeckung der eigentümlichen Formen die durch die Anbringung zusätzlicher dekorativer und dadurch an dieser Stelle nicht notwendiger Elemente. Dies widerspricht nicht der Anbringung von künstlerischen und dekorativen Elementen an sich, sondern fordert diese an der aus der Konstruktion und dem Material heraus geeigneten und durch die Bedeutung des Elementes im Bauwerk gerechtfertigten Stelle. Die Integration einer Ästhetik der industrialisierten und optimierten Ziegelform war also, ungeachtet der bis heute kritischen Stimmen, sehr wohl im Sinne der schinkelschen Architektur.

Zwei Neubauten, jedoch unterschiedliche Konstruktionen – erkennt man Riemchen und Klinker?

Ehrliche Konstruktionen – ein Trugschluss?

Wir müssen also differenzieren zwischen „materialgerecht“ und „ehrlich“. Die Anpassung des Materials im Rahmen seiner technischen Möglichkeiten und die Verwendung an der geeigneten Stelle im geeigneten konstruktiven Rahmen sind sehr wohl materialgerecht. Im Begriff der Ehrlichkeit schwingt ein Purismus mit, der geradezu zur kategorischen Ablehnung einer logischen Schlussfolgerung oder Entwicklung verführt. „Ehrlich“ könnte synonym zu „einfach“ verwendet werden und damit den Kern der gewünschten Aussage herauskristallisieren. Das einfache und handwerkliche Bauen, sowie der Verzicht auf komplizierte Hilfsmittel, dazu gehören Unterkonstruktionen wie auch aufwendige Herstellungsverfahren, können zu einer überlegten und angemesseneren Konstruktionsweise führen. Es kann aber auch zu einer ideologischen und romantisierten Sichtweise führen, die unzeitgemäße Bauweisen fordert und Fortschritt verweigert. Dabei ist besonders hier Vorsicht geboten, wo eine Reaktion auf reale Anforderungen aus dem eigenen Standpunkt heraus nicht mehr möglich ist. Auch wenn ästhetische Beurteilungen geschmäcklerisch bleiben – es bleibt vordergründig, sich ein Verständnis anzueignen, das eine begründete Haltung zur Materialgerechtigkeit ermöglicht und sich aller Optionen und Entwicklungen bewusst ist.

 

[1] Goerd Peschken: „Das Architektonische Lehrbuch“, München 1979, S.115

[2] Wilko Potgeter: „Backstein-Rohbau im Zeitalter der Industrialisierung“, Zürich 2021, S. 436

 

Bildrechte: David J. Wilk

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